11.06.2020 – Samy Deluxe – Hannover, Schützenplatz
Autokultur Hannover: Samy Deluxe live auf dem Schützenplatz
Vor Beginn sah es beinahe normal aus: Die Besucher strömen mit Ihren Autos auf den Parkplatz in freudiger Erwartung auf ein Konzert ihres Lieblingskünstlers. Doch irgendetwas war anders. Niemand steigt aus. Und was soll denn die Bühne an der Stirnseite vom Parkplatz? Nun erinnern wir uns: 2020 ist ja doch irgendwie anders als andere Jahre. Und so gehen auf einmal auch Konzerte im Auto. Der Virus hat die Welt im Griff, doch wir lassen uns die Kultur nicht nehmen. So oder so ähnlich muss es bei den Machern von AutoKultur in Hannover rund um Hannover Concerts gehießen haben. Seit ein paar Wochen treten verschiedene Acts aus Musik und Unterhaltung auf dem Schützenplatz auf. So auch am vergangenen Donnerstag. Dieses Mal war Samy Deluxe an der Reihe.
Dieser brachte mit Passepartout im Vorprogramm mehr als eine Hand voll Künstler mit, die ganz im Lichte des Genres vom Hauptact dem in ihren Autos feiernden Publikum schon einmal darauf vorbereitete was gleich zu folgen hat: Treibende Beats, tiefgründige Texte mit klarer Haltung: Rassismus? Ohne uns! Wie auch später bei Samy Deluxe selbst ging natürlich nichts an DEM Thema der vergangenen knapp drei Wochen vorbei. Der Tod des farbigen US-Amerikaners George Floyd.
Kurz verschnaufen. Die Sonne senkt sich langsam, der Tag kündigt seinen Abschied an. Mit einem „Was geht ab Hannover-City?! Jetzt könnt ihr Hupen! Ich will euch Hupen hören!“ kommt auf die Bühne auf den alle gewartet haben. Eine nicht ganz hundertprozentig normale Begrüßung – doch was ist in diesem Jahr schon normal? Noch mehr „Crazy“ wäre es nur noch gewesen, wäre Samy Deluxe selbst mit dem Auto auf die Bühne gekommen. Was er so ähnlich auch kurz mit einem zwinkernden Auge bedauerte. „Die Leute brauchen Rap in dieser Zeit! Ich habe herausgefunden ich bin verdammt Systemrelevant!“ – eine bessere Einleitung konnte es in dieser Situation gar nicht geben.
Mit „Hebt die Hände hoch“ ging es auch gleich mit einem beinahe-Klassiker los, der in keinem Repertoire eines modernen Hiphop-Fans fehlen darf. Dem fast schon die Euphorie des Publukums transportierenden Hupkonzert am Ende des Titels nach, waren die Bedenken des Künstlers beinahe davongefegt. Er entschuldigte sich im Voraus, dass manche Titel nicht so ankämen wie es sonst der Fall wäre.
Neben Tracks wie dem eher ruhigeren Poesiealbum oder dem bewusst das Genre und (Deutsch-)Rapkollegen kritisierenden Titel „Muttersprache“ zeigte er wie schon in den vergangenen über 25 Jahren seiner Karriere sein unglaubliches Feingefühl wenn es darum geht die passenden Worte zusammen mit einem treibenden Beat in einen Hit zu verwandeln. Den Titel „Haus am Mehr“ widmete er der hoffentlich nicht mehr ganz so weit entfernten Zeit ohne Social Distancing.
Der Gänsehautmoment aber war die „Liveweltpremiere“ des Titels „I can’t breathe“ welchen Samy Deluxe kurz zuvor auf seinem Instagramchannel veröffentlichte. Der Titel macht schon deutlich um welches Thema es hier geht: Dem Mord an dem US-Amerikaner George Flyod durch einen Polizisten in Minneapolis am 25. Mai. „Ich und viele meiner Leute können nicht Atmen!“ so ruft er heraus. Ein deutliches Zeichen für den Alltagsrassismus, den leider noch immer viele Menschen dunkler Hautfarbe erleiden müssen. „Ihr denkt es reicht, wenn ihr Stopp Rassismus-Hashtags macht“ – ein klarer Aufruf aus der bequemen Blase des Internets herauszutreten und für die Rechte aller Menschen – egal welcher Hautfarbe, Religion oder anderen Punkten einzutreten. Ein ganz starker Track in einer ereignisreichen Zeit.
Nach etwas mehr als einer Stunde und zehn Minuten war der Wortzauber dann leider schon wieder vorbei. Ein gefühlt viel zu kurzes aber umso prägenderes Erlebnis feinsten deutschen HipHops einer Genrelegende.
Vielen Dank an den Künstler, Hannover Concerts und allen anderen Beteiligten für diese Minuten des Entfliehens aus dem eingeschränkten Alltag.